Das Schach eher ein Spiel des Teufels als Gottes ist, weiß man seit dem Film "Das siebente Siegel". Aber es hat zuweilen göttliche Momente, Momente, die dazu führen, das man es nicht aufgibt, sondern ihm treu bleibt, trotz aller Erschöpfung, zu der es führt, trotz aller schmerzvollen Niederlagen und Enttäuschungen, die es bereitet. Der Teufel weiß eben, wie er seine Kundschaft an sich kettet.
Konkret spielte ich eine Partie in Belgien gegen Zhaoqin Peng. Ich spielte mit Weiß eine Eröffnung, die ich nicht kannte, und erreichte demnach mühelos eine bessere Stellung. Vor der Wahl zwischen einem klar vorteilhaften Endspiel und einem trivialen Einsteller stehend, entschied ich mich für den Verlustzug. Schließlich eliminierte dieser immerhin einen gegnerischen Bauern. Daraufhin war die Stellung völlig verloren, aber eben nicht sofort, solange Schwarz kein Risiko eingehen will.
Für mich bedeutete die Sicherheitsstragie meiner Gegnerin die pure Folter: immer wieder nach sofortigen taktischen Knockouts Ausschau halten müssen, wie ein angeschlagener Boxer die Arme manisch hochreißen, wenn wieder einmal etwas droht, versuchen, wenigstens einen Trick, eine Falle einzubauen, sich verzweifelt eingestehen, dass man sowieso nichts machen kann, mit dem risikolosen zweitbesten, aber völlig ausreichenden Zug konfrontiert werden, und dasselbe Prozedere einen Zug später noch einmal durchleben. Am Ende hatte ich eine glatte Minusfigur und nur theoretische Überlebenschancen aufgrund vorgerückter Freibauern. Da ich nur noch einzige Züge hatte, spielte ich schnell, um die Partie wenigstens hinter mich zu bringen und mich nicht zu lange mit dem Elend auf dem Brett befassen zu müssen.
Nachdem eine forcierte Zugfolge die Situation endgültig geklärt hatte, schaute ich wieder einmal aufs Brett, um den Zeitpunkt der Aufgabe zu bestimmen. Plötzlich ging mir auf, dass dies keine eilige Angelegenheit war, und dass die Stellung sogar glatt remis war. Ich konnte gar nicht glauben, wie das geschehen konnte und wollte es selbst gar nicht wahrhaben. Schließlich ist kaum etwas grausamer, als sich des halben Punktes sicher zu sein, und dann doch durch eine trickreiche, studienartige Variante zu verlieren. Somit brauchte ich 10 Minuten, um alle Varianten (und davon gab es nicht viele!) doppelt und dreifach durchzurechnen und mir endlich sicher zu sein, dass die Stellung remis war. Aber was für ein Gefühl: mit zunehmender Sicherheit, dass nichts mehr passieren konnte, kehrten meine Lebensgeister zurück, und statt mich mit peinigenden Selbstanklagen zu quälen, feierte ich innerlich meinen unverhofften, bereits abgeschriebenen halben Punkt. Nachdem ich meinen Zug endlich ausgeführt hatte, erkannte meine Gegnerin auch, was die Stunde geschlagen hatte, und bot umstandslos remis an.
Donner schrieb einmal, dass es nicht die großen kreativen Leistungen, sondern die unverdienten Punkte wären, die das schönste Gefühl im Schach geben. Er hatte Recht. Hinzuzufügen wäre, dass sich ein halber Punkt manchmal wie ein ganzer anfühlt. Leer und erschöpft, aber glücklich fuhr ich nach Tilburg zurück. Und bekam in Eindhoven sogar noch den knappen Anschlusszug, drei Sekunden später hätte es nicht gereicht. Kann ein Tag schöner enden?
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