Schach hat, zumindest unterhalb des 3000er-Niveaus, die angenehme Eigenschaft, durch Fehler entschieden zu werden. Beide Seiten machen Fehler, und derjenige, der die wenigsten macht, gewinnt. Alles ist straight and fair. Natürlich kann man sich über das Timing beschweren, über den Fehler am Ende, der nach einer großartigen Partie alles einstellt, obwohl der Gegner alles andere als gut gespielt hat. Aber andererseits fällt so ein Versagen in die eigene Verantwortlichkeit, und das Vermeiden grober Einsteller ist halt Teil des Spiels.
Dies unterscheidet Schach von Spielen wie Bridge und Poker, und wie wir heute abend gesehen haben, auch Fußball. Die Bayern -- kein Verein, für den ich besonders viel Sympathie übrig habe -- haben alles richtig gemacht. Das Spiel dominiert, geduldig auf ihre Chancen gegen die 10-Mann-Verteidigung von Chelsea gewartet, nichts zugelassen, ein Tor erzielt, einen Elfmeter herausgeholt. Alles richtig gemacht also. Keine Fehler, die man im Hinblick darauf, dass letztendlich Menschen auf dem Platz stehen, groß ankreiden könnte. Und doch am Ende machtlos. Was sie anders hätten machen können oder sollen, fragt der Journalist. Und warum sie nicht gewonnen hätten. Die Antwort kann nur ein zynisches Lachen sein.
Saturday, May 19, 2012
Friday, May 20, 2011
Stukkenjagers am Zug. Aufstieg.
Was macht die Faszination einer Endspielstudie aus? Je nach Stil des Komponisten und Geschmack des Richters oder Lösers fallen die Antworten unterschiedlich aus. Manche loben den hohen technischen Gehalt einer präzisen, nahezu choreographierten Gewinnführung. Andere die Intensität, mit der in der Ausgangsstellung kaum ersichtliche Verteidigungs- und Angrifssressourcen aufeinander folgen. Wieder andere ergötzen sich an der problemartigen Ästhetik der Pointe – einer Unterverwandlung, eines Opfers im Schnittpunkt feindlicher Figuren – , oder an der puren Tatsache, dass eine scheinbar verlorene Stellung noch Remis gehalten werden kann, oder eine totremise Stellung noch gewonnen wird.
Der kleinste gemeinsame Nenner besteht jedoch in der Sicht einer Studie als das Ideal einer praktischen Partie. Sie destilliert die Intensität, Originalität und Präzision eines realen Kampfes auf eine fiktionale Miniatur von fünf, zehn oder fünfzehn Zügen, in denen über eine Stellung alles gesagt wird, was zu sagen ist.
Eine weitere Gemeinsamkeit dürfte darin bestehen, dass eine Studie um so höher angesehen wird, je mehr Verteidigungsideen sie bereithält und am Ende überwindet. Das ist nicht anders im praktischen Schach: oberflächlich mag man sich am brillanten Opfer erfreuen, obwohl es nur einen von mehreren Gewinnwegen (und vielleicht noch nicht einmal den saubersten) darstellt; die tiefere Befriedigung gibt jedoch das Nachspielen solcher Partien, in denen beide Seiten auf höchstem Niveau spielen, der Verteidiger dem Remishafen nahe ist und scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten am Ende den Ausschlag gegen ihn geben. Viele Partien von Michail Tal und Garri Kasparow sowie einige Duelle aus dem legendären Wettkampf Spasski-Fischer fallen darunter.
Aber selbst in solchen außergewöhnlichen Duellen sind nicht alle Fehlgriffe erzwungen. Analyseengines decken die trivialeren Übersehen unbarmherzig auf und werfen ein kaltes, nüchternes Licht auf die vermeintliche Brillanz der Auseinandersetzung. Was in einer individuellen Schachpartie also selten vorkommt – durchgängige Stringenz und Originalität des Kampfes, subtile Finessen, die große Bedeutung gewinnen – dürfte somit noch seltener auf einen Mannschaftskampf zutreffen, geschweige denn eine ganze Saison. Allerdings ginge es da nicht um den Gehalt der 90 Partien, die jede Mannschaft pro Saison spielt, sondern um die Entwicklung einer Mannschaft über den Verlauf einer Saison: wie sich Kampfesmentalität, Teamgeist und Siegeswillen entwickeln, wie Details im Saisonverlauf große Bedeutung für das Endergebnis gewinnen, und wie eine eigentlich unmögliche Aufgabenstellung – der Aufstieg – erfüllt wird, wo sich anfangs jeder mit dem bloßen Klassenerhalt zufriedengegeben hätte.
Eine solche Studie war die Saison 2010/11 für die erste Vertretung von De Stukkenjagers.
Die Ausgangsposition ist, nach dem knapp verpassten Aufstieg im Vorjahr, denkbar ungünstig: Stammspieler ziehen sich zurück oder wechseln den Verein, andere können nicht alle Spiele bestreiten. Mit einer deutlich verkleinerten und geschwächten Auswahl beginnen wir die Saison, in der wir in nahezu jedem Wettkampf einen oder zwei Ersatzspieler benötigen. Der Anfang – ein Sieg gegen Eindhoven, ein 5-5 gegen DD – ist brauchbar, aber nicht überwältigend. Das Vorspiel der Studie beginnt mit Zügen, die dem gesunden Menschenverstand entsprechen, aber die Lösungsidee im Dunkeln lassen.
Der dritte Spieltag, ein Auswärtsspiel beim Tabellenführer aus Wageningen, erweist sich letztlich als der Schlüsselmoment. Wir spielen mit zwei Ersatzspielern, keiner von ihnen an die Luft der zweithöchsten Spielklasse gewöhnt. So können wir uns über den halben Punkt, den sie zusammengenommen holen, nicht beklagen. Und obwohl mir selbst gegen Jan Timman der Ausgleich gelingt, lassen die verbliebenen Stellungen – unklar, schlecht oder verloren – nichts Gutes ahnen.
In der vierten Stunde dieses Kampfes – noch vor der Episode mit dem Bier – geht jedoch der sprichwörtliche Ruck durch die Mannschaft. Fußballtrainer würden wohl von der Trotzreaktion angesichts eines sportlich ansprechenden, aber organisatorisch von vielen Schwierigkeiten überschatteten Saisonstarts sprechen. Jedenfalls strahlt jeder einzelne Spieler nun viel mehr Präsenz aus, als ob sich der Kampf durch pure Willenskraft gewinnen ließe. Keine einzige Partie geht mehr verloren, auch ein Läuferendspiel mit zwei Minusbauern nicht, während Herman und Frans ihre äußerst komplexen Schwarzpartien gewinnen können. 6-4 und Tabellenführung.
Die folgende Runde zeigt, dass dieser Erfolg keine Eintagsfliege war. Mit großem Einsatz gelingt ein 5-5 gegen den Favoriten aus Sas van Gent. Weiter geht es mit überzeugenden Siegen gegen RSR und Venlo (beide 7-3). Dann aber zeigt sich, dass eine gute Studie die Fähigkeit hat, den Löser durch raffinierte Verteidiungsressourcen zur Verzweiflung zu treiben. Der Wegfall mehrerer Schlüsselspieler in der siebten Runde kann nicht angemessen kompensiert werden, und gegen Zukertort Amstelveen setzt es eine 4-6-Niederlage. Sollte also eine alle Erwartungen übertreffende Saison schließlich mit einer Enttäuschung enden, weil der Forschungsaufenthalt des einen mit dem Skiurlaub des anderen und der Familienfeier eines Dritten kollidiert? Sollte die brillante Lösungsidee letztlich doch nicht funktionieren?
Damit hebt sich die Bühne für das Endspiel der Studie. Es zeichnet sich ein dramatisches Finale ab: nicht weniger als vier Mannschaften stehen mit der gleichen Anzahl an Matchpunkten an der Spitze. Die Brettpunkte müssen also voraussichtlich entscheiden. Nach der vorletzten Runde bleiben nur Sas van Gent und Stukkenjagers übrig, diese aber, um die Spannung auf die Spitze zu treiben, nun auch qua Brettpunkten gleichauf. Würden wir in der letzten Runde genug Schlagkraft aufbringen, um einen hohen Sieg gegen den Utrechter Klub „Paul Keres“ zu landen und den ersten Platz (der Tiebreak spricht zu unseren Gunsten) zu verteidigen?
Das beste Bild für den Verlauf dieses Kampfes entstammt vielleicht nicht dem Schach-, sondern dem Bridgespiel. Abspiel in einem hohen Kontrakt. Beim Anblick des Dummys entgleisen jedoch die Gesichtszüge. Da lag ein Missverständnis vor. Gibt es überhaupt eine Chance, den Kontrakt zu erfüllen? Ja, vielleicht, wenn diese und jene Karte auf der richtigen Seite sitzen, wenn eine Nebenfarbe gleichmäßig verteilt sitzt und freigetrumpft werden kann, wenn ein Verzweiflungsschnitt glückt, wenn die Gegner ihre Chancen vorbeigehen lassen... Viele Wenns also. Aber es bleibt einem sowieso nichts anderes übriges als den eigenen Spielplan auf dieser winzigen Chance zu basieren, die Gegner nichts merken zu lassen, und auf Fortunas Gunst zu vertrauen.
So legt man also das As im Dummy. Rechts fällt eine blanke Honneur. Das eröffnet neue Möglichkeiten, vorwärts nun. Der erste Schnitt glückt, bald auch der zweite. Alles sitzt rund. Die Gegner finden die beste Verteidigung nicht. Während das Spiel entlang des eigenen Plans fortschreitet, schleicht sich Skepsis ein: das sieht alles zu gut aus, um wahr zu sein, wie ein makabrer Scherz des Schicksals, das sich den Gnadenstoß für den letzten Stich aufbewahrt.
So spielt man also im vorletzten Stich auf die König-Bube-Gabel in Dummy zu. Eine 50:50-Entscheidung. Der linke Gegner legt mit stählerner Miene klein. Dann ein Zögern, ein eigentlich nicht mehr erlaubtes Überdenken des einmal gewählten Plans: gibt es wirklich kein Indiz, welcher Gegner welche Karte hält? Schließlich wird der König gesetzt. Nach Sekundenbruchteilen, die wie Ewigkeiten erscheinen, gewinnt dieser den Stich. Alles hat geklappt. Aus. Kontrakt. Vorbei. Versteinerte Mienen der Gegner, während sich Dummys Gesicht mit einem Schlage aufhellt. Das perfekte Spiel ist Wirklichkeit geworden.
Spiele dieser Art eignen sich für ein Double-Dummy-Problem, Abspielaufgaben mit kompletter Information. Es sind Spiele, wo alles exakt passen muss, damit der Kontrakt erfüllt wird. So wie auch dreieinhalb Stunden nach Beginn des Wettkampfes gegen Paul Keres die Chancen auf einen hohen Sieg eher unrealistische Gedankenspiele sind. 0-1 der Anfang, und drei weitere Stellungen sind verloren. Zuerst gehen jedoch die besser stehenden Partien zu Ende. 1-1, 2-1, 3-1, 4-1. Das lief günstig. Zudem beginnt nun die Zeitnotlotterie, in der Fortuna uns günstig gestimmt ist. Statt 4-3 steht es bald 6-1. Sollte das nicht reichen?
Nein, denn die Prognosen im Parallelkampf müssen korrigiert werden: Sas van Gent droht nun 7,5-2,5 oder 7-3 zu gewinnen, statt 6-4 oder 6,5-3,5 wie vor der Zeitnotphase erwartet. Ein Schlag ins Kontor, denn Mark Clijsen verwaltet für uns eine klare Verluststellung. Aber es gibt noch eine Minimalchance. Wenn Maurice sein Turmendspiel mit Minusbauern hält, wenn Herman seine etwas bessere Stellung nicht verliert oder gar gewinnt... Aber ist nicht jedem Schachspieler bekannt, wie wenig man Punkte einplanen kann, wie ein plötzlicher Trick, eine jähe Laune des Zufalls, die Arbeit einer ganzen Saison zunichte machen kann? Das fatale Übersehen, das sich Cor van Dongen im Vorjahr mit dem Sieg vor Augen leistete, ungeachtet einer bis dahin hervorragend gespielten Partie, geistert wie ein Menetekel in den Köpfen herum. Kaum einer hält es mehr oben im Spielsaal aus: man steht unten an der Bar, beruhigt sich mit Bier, telefoniert nervös zum anderen Spielort oder diskutiert das dort entstandene Turmendspiel. Das Material steht in jener Partie gleich, aber die praktischen Chancen unserer Konkurrenten sind groß. Trotz des mittlerweile unterschriebenen Remis bei Maurice wären wir dann auf einen ganzen Punkt von Herman angewiesen. Der ist noch nicht in trockenen Tüchern. Kann Herman, geschwächt und ermüdet von der neuen Vaterrolle, auch nach fünfeinhalb Stunden noch mit voller Konzentration und Willensstärke spielen? Oder wird sich der ungeheure Druck in einem kapitalen Einsteller entladen?
Herman hält durch. Mit 7,5-2,5 gewinnt Stukkenjagers das letzte Match der Saison und steigt über die Tiebreak-Regel in die Meesterklasse auf. Willenskraft und Mut, Kampfgeist und Talent triumphieren schlussendlich über die rein schachlich größere Qualität unserer Seeländer Rivalen, die in ihrem letzten Gefecht ebenfalls Großes leisten, aber nicht genug, um uns noch abzufangen.
Die Studie löst sich thematisch auf. Aber wer hätte diese Pointe, dieses Schlussspiel erwartet, das Ästhetik, Ökonomie und Dramatik in unglaublicher Konzentration vereint? Jeder Stein hat seine Funktion, jeder Spieler seinen unverzichtbaren Beitrag, jeder halbe Punkt seine Geschichte. So trägt nun ein warmer Wind des Schicksals die Stukkenjagers hinauf in die Lüfte, in die höchste Spielklasse. Nächstes Jahr wird sich zeigen, ob sie auch fliegen können.
Der kleinste gemeinsame Nenner besteht jedoch in der Sicht einer Studie als das Ideal einer praktischen Partie. Sie destilliert die Intensität, Originalität und Präzision eines realen Kampfes auf eine fiktionale Miniatur von fünf, zehn oder fünfzehn Zügen, in denen über eine Stellung alles gesagt wird, was zu sagen ist.
Eine weitere Gemeinsamkeit dürfte darin bestehen, dass eine Studie um so höher angesehen wird, je mehr Verteidigungsideen sie bereithält und am Ende überwindet. Das ist nicht anders im praktischen Schach: oberflächlich mag man sich am brillanten Opfer erfreuen, obwohl es nur einen von mehreren Gewinnwegen (und vielleicht noch nicht einmal den saubersten) darstellt; die tiefere Befriedigung gibt jedoch das Nachspielen solcher Partien, in denen beide Seiten auf höchstem Niveau spielen, der Verteidiger dem Remishafen nahe ist und scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten am Ende den Ausschlag gegen ihn geben. Viele Partien von Michail Tal und Garri Kasparow sowie einige Duelle aus dem legendären Wettkampf Spasski-Fischer fallen darunter.
Aber selbst in solchen außergewöhnlichen Duellen sind nicht alle Fehlgriffe erzwungen. Analyseengines decken die trivialeren Übersehen unbarmherzig auf und werfen ein kaltes, nüchternes Licht auf die vermeintliche Brillanz der Auseinandersetzung. Was in einer individuellen Schachpartie also selten vorkommt – durchgängige Stringenz und Originalität des Kampfes, subtile Finessen, die große Bedeutung gewinnen – dürfte somit noch seltener auf einen Mannschaftskampf zutreffen, geschweige denn eine ganze Saison. Allerdings ginge es da nicht um den Gehalt der 90 Partien, die jede Mannschaft pro Saison spielt, sondern um die Entwicklung einer Mannschaft über den Verlauf einer Saison: wie sich Kampfesmentalität, Teamgeist und Siegeswillen entwickeln, wie Details im Saisonverlauf große Bedeutung für das Endergebnis gewinnen, und wie eine eigentlich unmögliche Aufgabenstellung – der Aufstieg – erfüllt wird, wo sich anfangs jeder mit dem bloßen Klassenerhalt zufriedengegeben hätte.
Eine solche Studie war die Saison 2010/11 für die erste Vertretung von De Stukkenjagers.
Die Ausgangsposition ist, nach dem knapp verpassten Aufstieg im Vorjahr, denkbar ungünstig: Stammspieler ziehen sich zurück oder wechseln den Verein, andere können nicht alle Spiele bestreiten. Mit einer deutlich verkleinerten und geschwächten Auswahl beginnen wir die Saison, in der wir in nahezu jedem Wettkampf einen oder zwei Ersatzspieler benötigen. Der Anfang – ein Sieg gegen Eindhoven, ein 5-5 gegen DD – ist brauchbar, aber nicht überwältigend. Das Vorspiel der Studie beginnt mit Zügen, die dem gesunden Menschenverstand entsprechen, aber die Lösungsidee im Dunkeln lassen.
Der dritte Spieltag, ein Auswärtsspiel beim Tabellenführer aus Wageningen, erweist sich letztlich als der Schlüsselmoment. Wir spielen mit zwei Ersatzspielern, keiner von ihnen an die Luft der zweithöchsten Spielklasse gewöhnt. So können wir uns über den halben Punkt, den sie zusammengenommen holen, nicht beklagen. Und obwohl mir selbst gegen Jan Timman der Ausgleich gelingt, lassen die verbliebenen Stellungen – unklar, schlecht oder verloren – nichts Gutes ahnen.
In der vierten Stunde dieses Kampfes – noch vor der Episode mit dem Bier – geht jedoch der sprichwörtliche Ruck durch die Mannschaft. Fußballtrainer würden wohl von der Trotzreaktion angesichts eines sportlich ansprechenden, aber organisatorisch von vielen Schwierigkeiten überschatteten Saisonstarts sprechen. Jedenfalls strahlt jeder einzelne Spieler nun viel mehr Präsenz aus, als ob sich der Kampf durch pure Willenskraft gewinnen ließe. Keine einzige Partie geht mehr verloren, auch ein Läuferendspiel mit zwei Minusbauern nicht, während Herman und Frans ihre äußerst komplexen Schwarzpartien gewinnen können. 6-4 und Tabellenführung.
Die folgende Runde zeigt, dass dieser Erfolg keine Eintagsfliege war. Mit großem Einsatz gelingt ein 5-5 gegen den Favoriten aus Sas van Gent. Weiter geht es mit überzeugenden Siegen gegen RSR und Venlo (beide 7-3). Dann aber zeigt sich, dass eine gute Studie die Fähigkeit hat, den Löser durch raffinierte Verteidiungsressourcen zur Verzweiflung zu treiben. Der Wegfall mehrerer Schlüsselspieler in der siebten Runde kann nicht angemessen kompensiert werden, und gegen Zukertort Amstelveen setzt es eine 4-6-Niederlage. Sollte also eine alle Erwartungen übertreffende Saison schließlich mit einer Enttäuschung enden, weil der Forschungsaufenthalt des einen mit dem Skiurlaub des anderen und der Familienfeier eines Dritten kollidiert? Sollte die brillante Lösungsidee letztlich doch nicht funktionieren?
Damit hebt sich die Bühne für das Endspiel der Studie. Es zeichnet sich ein dramatisches Finale ab: nicht weniger als vier Mannschaften stehen mit der gleichen Anzahl an Matchpunkten an der Spitze. Die Brettpunkte müssen also voraussichtlich entscheiden. Nach der vorletzten Runde bleiben nur Sas van Gent und Stukkenjagers übrig, diese aber, um die Spannung auf die Spitze zu treiben, nun auch qua Brettpunkten gleichauf. Würden wir in der letzten Runde genug Schlagkraft aufbringen, um einen hohen Sieg gegen den Utrechter Klub „Paul Keres“ zu landen und den ersten Platz (der Tiebreak spricht zu unseren Gunsten) zu verteidigen?
Das beste Bild für den Verlauf dieses Kampfes entstammt vielleicht nicht dem Schach-, sondern dem Bridgespiel. Abspiel in einem hohen Kontrakt. Beim Anblick des Dummys entgleisen jedoch die Gesichtszüge. Da lag ein Missverständnis vor. Gibt es überhaupt eine Chance, den Kontrakt zu erfüllen? Ja, vielleicht, wenn diese und jene Karte auf der richtigen Seite sitzen, wenn eine Nebenfarbe gleichmäßig verteilt sitzt und freigetrumpft werden kann, wenn ein Verzweiflungsschnitt glückt, wenn die Gegner ihre Chancen vorbeigehen lassen... Viele Wenns also. Aber es bleibt einem sowieso nichts anderes übriges als den eigenen Spielplan auf dieser winzigen Chance zu basieren, die Gegner nichts merken zu lassen, und auf Fortunas Gunst zu vertrauen.
So legt man also das As im Dummy. Rechts fällt eine blanke Honneur. Das eröffnet neue Möglichkeiten, vorwärts nun. Der erste Schnitt glückt, bald auch der zweite. Alles sitzt rund. Die Gegner finden die beste Verteidigung nicht. Während das Spiel entlang des eigenen Plans fortschreitet, schleicht sich Skepsis ein: das sieht alles zu gut aus, um wahr zu sein, wie ein makabrer Scherz des Schicksals, das sich den Gnadenstoß für den letzten Stich aufbewahrt.
So spielt man also im vorletzten Stich auf die König-Bube-Gabel in Dummy zu. Eine 50:50-Entscheidung. Der linke Gegner legt mit stählerner Miene klein. Dann ein Zögern, ein eigentlich nicht mehr erlaubtes Überdenken des einmal gewählten Plans: gibt es wirklich kein Indiz, welcher Gegner welche Karte hält? Schließlich wird der König gesetzt. Nach Sekundenbruchteilen, die wie Ewigkeiten erscheinen, gewinnt dieser den Stich. Alles hat geklappt. Aus. Kontrakt. Vorbei. Versteinerte Mienen der Gegner, während sich Dummys Gesicht mit einem Schlage aufhellt. Das perfekte Spiel ist Wirklichkeit geworden.
Spiele dieser Art eignen sich für ein Double-Dummy-Problem, Abspielaufgaben mit kompletter Information. Es sind Spiele, wo alles exakt passen muss, damit der Kontrakt erfüllt wird. So wie auch dreieinhalb Stunden nach Beginn des Wettkampfes gegen Paul Keres die Chancen auf einen hohen Sieg eher unrealistische Gedankenspiele sind. 0-1 der Anfang, und drei weitere Stellungen sind verloren. Zuerst gehen jedoch die besser stehenden Partien zu Ende. 1-1, 2-1, 3-1, 4-1. Das lief günstig. Zudem beginnt nun die Zeitnotlotterie, in der Fortuna uns günstig gestimmt ist. Statt 4-3 steht es bald 6-1. Sollte das nicht reichen?
Nein, denn die Prognosen im Parallelkampf müssen korrigiert werden: Sas van Gent droht nun 7,5-2,5 oder 7-3 zu gewinnen, statt 6-4 oder 6,5-3,5 wie vor der Zeitnotphase erwartet. Ein Schlag ins Kontor, denn Mark Clijsen verwaltet für uns eine klare Verluststellung. Aber es gibt noch eine Minimalchance. Wenn Maurice sein Turmendspiel mit Minusbauern hält, wenn Herman seine etwas bessere Stellung nicht verliert oder gar gewinnt... Aber ist nicht jedem Schachspieler bekannt, wie wenig man Punkte einplanen kann, wie ein plötzlicher Trick, eine jähe Laune des Zufalls, die Arbeit einer ganzen Saison zunichte machen kann? Das fatale Übersehen, das sich Cor van Dongen im Vorjahr mit dem Sieg vor Augen leistete, ungeachtet einer bis dahin hervorragend gespielten Partie, geistert wie ein Menetekel in den Köpfen herum. Kaum einer hält es mehr oben im Spielsaal aus: man steht unten an der Bar, beruhigt sich mit Bier, telefoniert nervös zum anderen Spielort oder diskutiert das dort entstandene Turmendspiel. Das Material steht in jener Partie gleich, aber die praktischen Chancen unserer Konkurrenten sind groß. Trotz des mittlerweile unterschriebenen Remis bei Maurice wären wir dann auf einen ganzen Punkt von Herman angewiesen. Der ist noch nicht in trockenen Tüchern. Kann Herman, geschwächt und ermüdet von der neuen Vaterrolle, auch nach fünfeinhalb Stunden noch mit voller Konzentration und Willensstärke spielen? Oder wird sich der ungeheure Druck in einem kapitalen Einsteller entladen?
Herman hält durch. Mit 7,5-2,5 gewinnt Stukkenjagers das letzte Match der Saison und steigt über die Tiebreak-Regel in die Meesterklasse auf. Willenskraft und Mut, Kampfgeist und Talent triumphieren schlussendlich über die rein schachlich größere Qualität unserer Seeländer Rivalen, die in ihrem letzten Gefecht ebenfalls Großes leisten, aber nicht genug, um uns noch abzufangen.
Die Studie löst sich thematisch auf. Aber wer hätte diese Pointe, dieses Schlussspiel erwartet, das Ästhetik, Ökonomie und Dramatik in unglaublicher Konzentration vereint? Jeder Stein hat seine Funktion, jeder Spieler seinen unverzichtbaren Beitrag, jeder halbe Punkt seine Geschichte. So trägt nun ein warmer Wind des Schicksals die Stukkenjagers hinauf in die Lüfte, in die höchste Spielklasse. Nächstes Jahr wird sich zeigen, ob sie auch fliegen können.
Saturday, March 27, 2010
Die innere Logik einer Schachpartie
Die Idee der einer Schachpartie innewohnenden Logik und Gesetzmäßigkeit besitzt auf Schachspieler eine große Anziehungskraft. Das ist auf den ersten Blick seltsam, denn ein geistiger Wettkampf zweiter Kontrahenten mit all seinen Zufälligkeiten und Unzulänglichkeiten scheint auf den ersten Blick wenig mit den klassischen Vorbildern innerer Logik, wie Mathematik, bildende Kunst oder Musik, gemein zu haben. Niemand würde ernsthaft eine Schachpartie, wie gehaltvoll sie auch sei, mit der Vierten Symphonie von Brahms oder irgendeinem anderen großen Kunstwerk vergleichen. Und dennoch stehen Schachspieler immer wieder im Banne der Idee, dass eine Partie eine innere Form aufweist, dass sie sich zwangsläufig in eine bestimmte Richtung und zu einem bestimmten Ergebnis hin entwickelt. Das ist nicht zu verwechseln mit der Karikatur einer Schachpartie, die man häufig in Lehrbüchern findet: Spieler A versinnt einen genialen Plan, setzt ihn fehlerlos um, und dem armen Spieler B bleibt nichts anderes übrig, als seinem Gegenüber die Hand zu reichen. Die Idee der inneren Logik einer Schachpartie schließt Fehler nicht aus, ganz im Gegenteil sogar; sie erfordert jedoch, dass sich diese Fehler aus den besonderen Schwierigkeiten einer Stellung ergeben müssen, und nicht, gleichsam zufällig, dem Kampf eine unvorhersehbare Wende geben.
Die Anziehungskraft dieser Idee erklärt auch, warum Schachspieler mit bestimmten Fehlern und Niederlagen besonders hadern: letztere entstehen nicht immer auf natürliche Weise, z.B. indem man den Charakter einer Stellung verkennt und daher einen unangemessenen Plan wählt oder durch das Übersehen einer taktischen Ressource in einem scharfen Zeitnotgefecht. Häufig genug führt mangelnde Konzentration oder Aufmerksamkeit zu einem dummen Fehler, der einen sicheren Vorteil vergibt oder eine spielbare Stellung wegwirft. Die daraus enstehenden Enttäuschungen sind der Erfahrung nach die bittersten und weitaus schwerer zu verarbeiten als glatte Nullen. Wenn Schachspieler über Pech oder Ungerechtigkeit im Spiel sprechen, dann geht es meistens um Partien, denen die innere Logik abgeht, die zufällig entschieden werden, in denen ein einziger Fehler die ganze Entwicklung eines langen Kampfes auf den Kopf stellt. Das vereint sie mit Sportlern anderer Disziplinen, in denen das zufällige, irrationale Element augenfälliger zu Tage tritt: sei es ein Stolpern auf der Schlußgeraden, ein Sturz in der Abfahrt oder eine Pfütze im Rasen.
Eine Enttäuschung dieser Art hielt auch der heutige Mannschaftskampf zwischen De Stukkenjagers und Voerendaal für uns bereit. Cor van Dongen übte mit Weiß gegen Andrey Orlov starken Druck aus und besaß deutlichen Endspielvorteil. Aufgrund der passiven Stellung der schwarzen Figuren schien sogar ein leichter Gewinn im Bereich des Möglichen; Cor wickelte jedoch in ein Turmendspiel mit Mehrbauern ab. Dieses sollte bei genauer Verteidigung zu halten sein. Unter zunehmendem Druck auf der Uhr entschloß sich sein Gegner jedoch, die Ereignisse zu forcieren, was zum Verlust eines zweiten Bauerns führte. Der Mannschaftskampf befand sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Stand von 4,5:4,5 auf dem Siedepunkt, und die Anspannung aller Beteiligten war ungeheuer. Mit eineinhalb Minuten gegenüber einer Minute auf der Uhr musste Cor noch seine zwei Mehrbauern verwerten – eine rein technische, aber angesichts einiger taktischer Tricks nicht völlig triviale Aufgabe. Zumindest nicht nach sechs Stunden intensiven Kampfes.
Es schien jedoch, dass Cor sich dieser Aufgabe problemlos entledigen würde, und mehrere Stukkenjagers atmeten innerlich bereits durch. Ich selbst war hingegen noch sehr gespannt, denn wenn eine Mannschaft gegen einen stärkeren Gegner am oberen Limit spielt, die Erwartungen übertrifft und der Sieg zum Greifen nahe ist, ist das schwer zu glauben, als habe man mit Fortuna noch eine Rechnung offen, die vor Ablauf des Kampfes noch präsentiert werden müsse. So auch hier. In folgender Stellung – Weiß: Ke4, Te5, Bg5, h5, Schwarz: Kh7, Th1 – spielte Cor korrekterweise Te7+ und sah nach dem Antwortzug Kg8, dass der Bauer h5 hängt. Daraufhin spielte er nicht Kf5 mit schwarzer Aufgabe, sondern h5-h6, worauf die zufällige, jedes Plans, jeder Absicht entbehrende Ressource Te1+ den Kampf sofort entschied. Allerdings zu Ungunsten des Weißen und der gesamten Stukkenjagers, denen der beinahe sicher geglaubte Aufstieg aus den Händen glitt.
Nun ließe sich aus der Erfahrung sagen, dass gerade diese dramatischen Wendungen häufiger passieren, als man denkt, gerade in wichtigen Situationen am Ende eines Wettkampftages. Die Irrationalität eines solchen Partieschlusses wäre demnach nur scheinbar und ließe außer Acht, dass letztlich nur Menschen mit begrenzten Kräften und Fähigkeiten am Brett sitzen, Akteure, die geradezu zwangsläufig unter Druck etwas übersehen würden. Das Bild der inneren Logik einer Schachpartie wäre demnach zu sehr am Ideal rationaler, gottgleicher Spieler orientiert.
Wer so argumentiert, macht vielleicht einen intellektuellen Punkt, übersieht aber, dass es gerade dieses Ideal ist, dass die Faszination einer guten Schachpartie ausmacht: sie lässt die Spieler inspiriert und perfekt erscheinen. Dies glückt natürlich in der Praxis häufig nur in einzelnen Partiephasen, und um so wertvoller sind diejenigen Partien, die trotz oder gerade wegen hartnäckigen gegnerischen Widerstands Struktur und Kohärenz besitzen, in denen ein Vorteil konsequent vergrößert, transformiert und schließlich verwertet wird. Sie sind es, an die man sich auch nach Jahren erinnert. Cors Partie war so ein Beispiel – gegen einen 150 Punkte höher bewerteten Gegner spielt er eine Partie wie aus einem Guß, und die einzige wichtige Frage scheint zu sein, ob der Vorteil zum Gewinn ausreicht oder nicht. Dass am Ende dieser Partie ein Ergebnis steht, das zu keinem einzigen Zeitpunkt zur Debatte stand, und das letztendlich den äußeren Umständen einer Turnierpartie mit dem Druck auf der Uhr und imKopf geschuldet ist, macht die besondere Bitterkeit dieser Niederlage aus. Im Fußball weiß man, das ein Glücksschuss jäh das Geschick wenden kann, im Schach ist man geneigt, dies zu vergessen, auch deshalb, weil es unterm Strich seltener geschieht. Aber wenn es doch einmal passiert, dann erkennen sowohl Perfektionisten als auch Praktiker die Tragik des Geschehens, und selbst die glücklichen Sieger fühlen das Zufällige ihres Erfolgs und feiern ihn mit verhaltener Freude, als gelte es, für eine wunderbare Rettung zu danken.
Die Anziehungskraft dieser Idee erklärt auch, warum Schachspieler mit bestimmten Fehlern und Niederlagen besonders hadern: letztere entstehen nicht immer auf natürliche Weise, z.B. indem man den Charakter einer Stellung verkennt und daher einen unangemessenen Plan wählt oder durch das Übersehen einer taktischen Ressource in einem scharfen Zeitnotgefecht. Häufig genug führt mangelnde Konzentration oder Aufmerksamkeit zu einem dummen Fehler, der einen sicheren Vorteil vergibt oder eine spielbare Stellung wegwirft. Die daraus enstehenden Enttäuschungen sind der Erfahrung nach die bittersten und weitaus schwerer zu verarbeiten als glatte Nullen. Wenn Schachspieler über Pech oder Ungerechtigkeit im Spiel sprechen, dann geht es meistens um Partien, denen die innere Logik abgeht, die zufällig entschieden werden, in denen ein einziger Fehler die ganze Entwicklung eines langen Kampfes auf den Kopf stellt. Das vereint sie mit Sportlern anderer Disziplinen, in denen das zufällige, irrationale Element augenfälliger zu Tage tritt: sei es ein Stolpern auf der Schlußgeraden, ein Sturz in der Abfahrt oder eine Pfütze im Rasen.
Eine Enttäuschung dieser Art hielt auch der heutige Mannschaftskampf zwischen De Stukkenjagers und Voerendaal für uns bereit. Cor van Dongen übte mit Weiß gegen Andrey Orlov starken Druck aus und besaß deutlichen Endspielvorteil. Aufgrund der passiven Stellung der schwarzen Figuren schien sogar ein leichter Gewinn im Bereich des Möglichen; Cor wickelte jedoch in ein Turmendspiel mit Mehrbauern ab. Dieses sollte bei genauer Verteidigung zu halten sein. Unter zunehmendem Druck auf der Uhr entschloß sich sein Gegner jedoch, die Ereignisse zu forcieren, was zum Verlust eines zweiten Bauerns führte. Der Mannschaftskampf befand sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Stand von 4,5:4,5 auf dem Siedepunkt, und die Anspannung aller Beteiligten war ungeheuer. Mit eineinhalb Minuten gegenüber einer Minute auf der Uhr musste Cor noch seine zwei Mehrbauern verwerten – eine rein technische, aber angesichts einiger taktischer Tricks nicht völlig triviale Aufgabe. Zumindest nicht nach sechs Stunden intensiven Kampfes.
Es schien jedoch, dass Cor sich dieser Aufgabe problemlos entledigen würde, und mehrere Stukkenjagers atmeten innerlich bereits durch. Ich selbst war hingegen noch sehr gespannt, denn wenn eine Mannschaft gegen einen stärkeren Gegner am oberen Limit spielt, die Erwartungen übertrifft und der Sieg zum Greifen nahe ist, ist das schwer zu glauben, als habe man mit Fortuna noch eine Rechnung offen, die vor Ablauf des Kampfes noch präsentiert werden müsse. So auch hier. In folgender Stellung – Weiß: Ke4, Te5, Bg5, h5, Schwarz: Kh7, Th1 – spielte Cor korrekterweise Te7+ und sah nach dem Antwortzug Kg8, dass der Bauer h5 hängt. Daraufhin spielte er nicht Kf5 mit schwarzer Aufgabe, sondern h5-h6, worauf die zufällige, jedes Plans, jeder Absicht entbehrende Ressource Te1+ den Kampf sofort entschied. Allerdings zu Ungunsten des Weißen und der gesamten Stukkenjagers, denen der beinahe sicher geglaubte Aufstieg aus den Händen glitt.
Nun ließe sich aus der Erfahrung sagen, dass gerade diese dramatischen Wendungen häufiger passieren, als man denkt, gerade in wichtigen Situationen am Ende eines Wettkampftages. Die Irrationalität eines solchen Partieschlusses wäre demnach nur scheinbar und ließe außer Acht, dass letztlich nur Menschen mit begrenzten Kräften und Fähigkeiten am Brett sitzen, Akteure, die geradezu zwangsläufig unter Druck etwas übersehen würden. Das Bild der inneren Logik einer Schachpartie wäre demnach zu sehr am Ideal rationaler, gottgleicher Spieler orientiert.
Wer so argumentiert, macht vielleicht einen intellektuellen Punkt, übersieht aber, dass es gerade dieses Ideal ist, dass die Faszination einer guten Schachpartie ausmacht: sie lässt die Spieler inspiriert und perfekt erscheinen. Dies glückt natürlich in der Praxis häufig nur in einzelnen Partiephasen, und um so wertvoller sind diejenigen Partien, die trotz oder gerade wegen hartnäckigen gegnerischen Widerstands Struktur und Kohärenz besitzen, in denen ein Vorteil konsequent vergrößert, transformiert und schließlich verwertet wird. Sie sind es, an die man sich auch nach Jahren erinnert. Cors Partie war so ein Beispiel – gegen einen 150 Punkte höher bewerteten Gegner spielt er eine Partie wie aus einem Guß, und die einzige wichtige Frage scheint zu sein, ob der Vorteil zum Gewinn ausreicht oder nicht. Dass am Ende dieser Partie ein Ergebnis steht, das zu keinem einzigen Zeitpunkt zur Debatte stand, und das letztendlich den äußeren Umständen einer Turnierpartie mit dem Druck auf der Uhr und imKopf geschuldet ist, macht die besondere Bitterkeit dieser Niederlage aus. Im Fußball weiß man, das ein Glücksschuss jäh das Geschick wenden kann, im Schach ist man geneigt, dies zu vergessen, auch deshalb, weil es unterm Strich seltener geschieht. Aber wenn es doch einmal passiert, dann erkennen sowohl Perfektionisten als auch Praktiker die Tragik des Geschehens, und selbst die glücklichen Sieger fühlen das Zufällige ihres Erfolgs und feiern ihn mit verhaltener Freude, als gelte es, für eine wunderbare Rettung zu danken.
Friday, March 6, 2009
Monday, February 2, 2009
Teufels Werk und Gottes Beitrag
Das Schach eher ein Spiel des Teufels als Gottes ist, weiß man seit dem Film "Das siebente Siegel". Aber es hat zuweilen göttliche Momente, Momente, die dazu führen, das man es nicht aufgibt, sondern ihm treu bleibt, trotz aller Erschöpfung, zu der es führt, trotz aller schmerzvollen Niederlagen und Enttäuschungen, die es bereitet. Der Teufel weiß eben, wie er seine Kundschaft an sich kettet.
Konkret spielte ich eine Partie in Belgien gegen Zhaoqin Peng. Ich spielte mit Weiß eine Eröffnung, die ich nicht kannte, und erreichte demnach mühelos eine bessere Stellung. Vor der Wahl zwischen einem klar vorteilhaften Endspiel und einem trivialen Einsteller stehend, entschied ich mich für den Verlustzug. Schließlich eliminierte dieser immerhin einen gegnerischen Bauern. Daraufhin war die Stellung völlig verloren, aber eben nicht sofort, solange Schwarz kein Risiko eingehen will.
Für mich bedeutete die Sicherheitsstragie meiner Gegnerin die pure Folter: immer wieder nach sofortigen taktischen Knockouts Ausschau halten müssen, wie ein angeschlagener Boxer die Arme manisch hochreißen, wenn wieder einmal etwas droht, versuchen, wenigstens einen Trick, eine Falle einzubauen, sich verzweifelt eingestehen, dass man sowieso nichts machen kann, mit dem risikolosen zweitbesten, aber völlig ausreichenden Zug konfrontiert werden, und dasselbe Prozedere einen Zug später noch einmal durchleben. Am Ende hatte ich eine glatte Minusfigur und nur theoretische Überlebenschancen aufgrund vorgerückter Freibauern. Da ich nur noch einzige Züge hatte, spielte ich schnell, um die Partie wenigstens hinter mich zu bringen und mich nicht zu lange mit dem Elend auf dem Brett befassen zu müssen.
Nachdem eine forcierte Zugfolge die Situation endgültig geklärt hatte, schaute ich wieder einmal aufs Brett, um den Zeitpunkt der Aufgabe zu bestimmen. Plötzlich ging mir auf, dass dies keine eilige Angelegenheit war, und dass die Stellung sogar glatt remis war. Ich konnte gar nicht glauben, wie das geschehen konnte und wollte es selbst gar nicht wahrhaben. Schließlich ist kaum etwas grausamer, als sich des halben Punktes sicher zu sein, und dann doch durch eine trickreiche, studienartige Variante zu verlieren. Somit brauchte ich 10 Minuten, um alle Varianten (und davon gab es nicht viele!) doppelt und dreifach durchzurechnen und mir endlich sicher zu sein, dass die Stellung remis war. Aber was für ein Gefühl: mit zunehmender Sicherheit, dass nichts mehr passieren konnte, kehrten meine Lebensgeister zurück, und statt mich mit peinigenden Selbstanklagen zu quälen, feierte ich innerlich meinen unverhofften, bereits abgeschriebenen halben Punkt. Nachdem ich meinen Zug endlich ausgeführt hatte, erkannte meine Gegnerin auch, was die Stunde geschlagen hatte, und bot umstandslos remis an.
Donner schrieb einmal, dass es nicht die großen kreativen Leistungen, sondern die unverdienten Punkte wären, die das schönste Gefühl im Schach geben. Er hatte Recht. Hinzuzufügen wäre, dass sich ein halber Punkt manchmal wie ein ganzer anfühlt. Leer und erschöpft, aber glücklich fuhr ich nach Tilburg zurück. Und bekam in Eindhoven sogar noch den knappen Anschlusszug, drei Sekunden später hätte es nicht gereicht. Kann ein Tag schöner enden?
Konkret spielte ich eine Partie in Belgien gegen Zhaoqin Peng. Ich spielte mit Weiß eine Eröffnung, die ich nicht kannte, und erreichte demnach mühelos eine bessere Stellung. Vor der Wahl zwischen einem klar vorteilhaften Endspiel und einem trivialen Einsteller stehend, entschied ich mich für den Verlustzug. Schließlich eliminierte dieser immerhin einen gegnerischen Bauern. Daraufhin war die Stellung völlig verloren, aber eben nicht sofort, solange Schwarz kein Risiko eingehen will.
Für mich bedeutete die Sicherheitsstragie meiner Gegnerin die pure Folter: immer wieder nach sofortigen taktischen Knockouts Ausschau halten müssen, wie ein angeschlagener Boxer die Arme manisch hochreißen, wenn wieder einmal etwas droht, versuchen, wenigstens einen Trick, eine Falle einzubauen, sich verzweifelt eingestehen, dass man sowieso nichts machen kann, mit dem risikolosen zweitbesten, aber völlig ausreichenden Zug konfrontiert werden, und dasselbe Prozedere einen Zug später noch einmal durchleben. Am Ende hatte ich eine glatte Minusfigur und nur theoretische Überlebenschancen aufgrund vorgerückter Freibauern. Da ich nur noch einzige Züge hatte, spielte ich schnell, um die Partie wenigstens hinter mich zu bringen und mich nicht zu lange mit dem Elend auf dem Brett befassen zu müssen.
Nachdem eine forcierte Zugfolge die Situation endgültig geklärt hatte, schaute ich wieder einmal aufs Brett, um den Zeitpunkt der Aufgabe zu bestimmen. Plötzlich ging mir auf, dass dies keine eilige Angelegenheit war, und dass die Stellung sogar glatt remis war. Ich konnte gar nicht glauben, wie das geschehen konnte und wollte es selbst gar nicht wahrhaben. Schließlich ist kaum etwas grausamer, als sich des halben Punktes sicher zu sein, und dann doch durch eine trickreiche, studienartige Variante zu verlieren. Somit brauchte ich 10 Minuten, um alle Varianten (und davon gab es nicht viele!) doppelt und dreifach durchzurechnen und mir endlich sicher zu sein, dass die Stellung remis war. Aber was für ein Gefühl: mit zunehmender Sicherheit, dass nichts mehr passieren konnte, kehrten meine Lebensgeister zurück, und statt mich mit peinigenden Selbstanklagen zu quälen, feierte ich innerlich meinen unverhofften, bereits abgeschriebenen halben Punkt. Nachdem ich meinen Zug endlich ausgeführt hatte, erkannte meine Gegnerin auch, was die Stunde geschlagen hatte, und bot umstandslos remis an.
Donner schrieb einmal, dass es nicht die großen kreativen Leistungen, sondern die unverdienten Punkte wären, die das schönste Gefühl im Schach geben. Er hatte Recht. Hinzuzufügen wäre, dass sich ein halber Punkt manchmal wie ein ganzer anfühlt. Leer und erschöpft, aber glücklich fuhr ich nach Tilburg zurück. Und bekam in Eindhoven sogar noch den knappen Anschlusszug, drei Sekunden später hätte es nicht gereicht. Kann ein Tag schöner enden?
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